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Kündigung / Vertragsaufhebung


Arbeitsunfähigkeit: Kündigungsmöglichkeit bei verspäteter Mitteilung

BAG, Urteil vom 07.05.2020 – 2 AZR 619/19 -

Der Kläger war langjährig Lagerist bei der Beklagten gewesen. Seit Juli 2016 war er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11.01.2016 ab, da dieser vom 27.12. bis 30.12.2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienenen sei, ferner mit Schreiben vom 10. und 15.03.2017, da er seine Anzeigepflicht im Krankheitsfall nicht entsprochen habe (die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22.02. bzw. 08.03 w017 hätten nicht rechtzeitig vorgelegen). Eine am 07.08.2017 (Montag) an der Pforte abgegebene Bescheinigung, nach der sich die Arbeitsunfähigkeit über den 04.08.2017 hinaus erstrecke, ging dem Vorgesetzten erst am 08.08.2017 zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.08.2017 zum 31.12.2017.

 

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Diese war in den ersten zwei Instanzen erfolgreich. Im Rahmen der Revision hob das BAG die Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück.

 

Eine Kündigung könne nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitsnehmers sozial gerechtfertigt sein. Dabei käme auch eine schuldhafte Verletzung einer sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ergebenden (Neben-) Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich in Betracht. Diese Mitteilungspflicht gelte nicht nur für den Fall der Ersterkrankung, sondern auch der Fortdauer der darauf begründeten Arbeitsunfähigkeit über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus. Unverzüglich bedeute nach der anzuwendenden Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes zögern“. Die Mitteilung müsse gegenüber einem vom Arbeitgeber autorisierten Mitarbeiter erfolgen (mangels besonderer Regelung an den Vorgesetzten oder eine Personalabteilung); die Überlassung an andere Mitarbeiter würde sich als Einschaltung von Boten darstellen, für die der Arbeitnehmer das Risiko trage.

 

Dem Tatsachengericht kommt, so das BAG, bei der Prüfung und Interessensabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers begründet seien, ein Beurteilungsspielraum zu. Auch im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Revisionsverfahren sah dies das BAG als fehlerhaft an, insoweit das LAG lediglich ein geringes Verschulden angenommen habe ohne Umstände festzustellen, die auf ein lediglich geringes Verschulden schließen ließen. Auszugehen sei von § 276 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit), für die der Schuldner (und damit der Arbeitnehmer bei einer Pflichtverletzung) einzustehen habe. Das LAG habe allerdings lediglich darauf abgestellt, es habe eine Pflichtverletzung geringen Ausmaßes vorgelegen, womit es gerade nicht der Grad des Verschuldens, sondern lediglich das Gewicht der Pflichtverletzung angesprochen worden sei.

 

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gehöre das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen ebenso wie ein Vorhandensein zu einer notwendigen vollständigen Interessensabwägung bei einer auf Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Kündigung. Fehlerhaft sei aber die Annahme des LAG, eine Pflichtverletzung bei unterlassener unverzüglicher Anzeige der Fortdauer der Erkrankung beeinträchtige die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers weniger gravierend als die nicht unverzügliche Erstanzeige. Der Arbeitgeber könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer ohne anderslautende Mitteilung seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Erkrankungsdauer wieder aufnehme. Es bestünde auch nicht generell eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauere. Es müssten Umstände belegt sein, die für den Arbeitgeber die Fortdauer hätten ersichtlich machen müssen. Auch bei längerem Ausfall des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber nicht für einen längerfristigen Ersatz Sorge tragen.

 

 

Im weiteren Verlauf wird sich das LAG mit den Abmahnungen der beklagten beschäftigen müssen und klären müssen, ob die Anzeigen nach den Abmahnungen pünktlich erfolgten und sich damit der Kläger die Abmahnungen hat zur Warnung gereichen lassen.  


Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung bei Einwurf in Hausbriefkasten

BAG, Urteil vom 22.08.2019 - 2 AZR 111/19 -

Ein Mitarbeiter der Beklagten warf das Kündigungsschreiben am 27.01.2017 (Freitag)  gegen 13.25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers ein. Gewöhnliche Postzustellungen erfolgen hier in der Regel gegen 11.00 Uhr. Der Kläger, der eingehend beim Arbeitsgericht am 20.02.2017 Klage erhob, machte geltend, das Kündigungsschreiben sei ihm erst am 30.01.2017 zugegangen. Streitig war, aber der Kläger die 3-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG eingehalten hatte. Die Vorinstanzen hatten dies negiert und die Klage deshalb abgewiesen. Auf die Revision das die klägerische Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurückweisenden Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Ausgangspunkt der Entscheidung des BAG ist der Umstand, dass eine Willenserklärung (hier Kündigung) unter Abwesenden gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu dem Zeitpunkt zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt und dieser unter gewöhnlichen Verhältnissen von ihr Kenntnis nehmen kann. Das aber würde besagen, dass bei einem Einwurf in den Hausbriefkasten bedeuten, dass der Zugang erst bewirkt ist zu dem Zeitpunkt, zu dem nach der Verkehrsanschauung generalisierend (und im Interesse der Rechtssicherheit nicht individualisierend auf die Person des Empfängers abstellend) mit einer Entnahme nach dem Einwurf zu rechnen sei. Das bedeute auch, dass z.B. bei einer Verhinderung infolge Erkrankung oder zeitweiliger Abwesenheit der Empfänger für eine Leerung Sorge tragen müsse.

 

Bei der Feststellung der Verkehrsanschauung handele es sich um eine Tatfrage. So sei die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach der Hausbriefkasten im Allgemeinen nach einer üblichen Postzustellungszeit im Zustellungsbezirk geleert würde, nicht zu beanstanden (BAG, Urteil vom 22.03.2012 - 2 AZR 224/11 -; BGH, Urteil vom 21.01.2004 -  XII ZR 214/00 -).  Allerdings könnte auch eine (gewandelte) Verkehrsanschauung festgestellt werden, die eine spätere Leerung (etwa mehrere Stunden nach dem üblichen Einwurf – festgestellt werden, wobei die Frage der Verkehrsanschauung regional unterschiedlich beurteilt werden könnte und sich diese auch im Laufe der Jahre ändern könne (das Bestehen der Fortdauer der Verkehrsanschauung könne nicht vermutet werden, BGH, Urteil vom 01.10.1992 - V ZR 36/96 -).

 

Diese Verkehrsanschauung könne der Richter durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln oder bei eigener Sachkunde feststellen. Diese eigene Sachkunde des Richters müsse im Urteil nicht dargelegt werden, wenn der Richter den angesprochenen Verkehrskreisen selbst angehört.

 

Nicht richtig sei aber, wenn das Landesarbeitsgericht auf „Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden eines erheblichen Teils der Bevölkerung abstelle, da sich daraus für die Gepflogenheiten zur Leerung des Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers nichts ergäbe. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sei kernerwerbstätig, darunter 6,8 Mio. geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte mit weniger als 20 Stunden/Woche. Ferner wären die 5% Nachtarbeitnehmer nicht berücksichtigt. Hinzu kämen flexible Arbeitszeitmodelle und die Homeoffice-Tätigkeit.

 

Unabhängig davon sei auch nicht ersichtlich, weshalb es für die Verkehrsanschauung überhaupt auf die erwerbstätige Bevölkerung ankäme. Es handele sich bei der um eine (wenn auch große) Minderheit und würde auch nicht berücksichtigen, dass nicht alle Erwerbstätigen in Single-Haushalten leben würden, also die Leerung des Hausbriefkastens auch durch Mitbewohner erfolgen könne, die nicht oder zu anderen Zeiten arbeiten und eine zweite Leerung nicht stattfinde.

 

Zudem würde hier das Abstellen auf die Erwerbstätigen nicht berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit dem 01.01.2017 nicht mehr von der Beklagten zur Arbeit herangezogen worden sei.

 

 

Das Landesarbeitsgericht hatte die Leerung von Hausbriefkästen nach der Verkehrsanschauung als „angemessen“ mit 17.00 Uhr angenommen. Dies sei willkürlich; Verhältnismäßigkeitsgrundsätze seien ungeeignet eine Verkehrsanschauung zu begründen. 


Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages bei Verstoß gegen Gebot des fairen Verhandelns

BAG, Urteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18 -

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der als Reinigungshilfe beschäftigten Beklagten mit einem Schreiben vom 22.06.2015 zum 22.06.2015. Mit einem weiteren Schreiben die Beklagten an die Klägerin, dessen Zugang streitig ist, teilte die Beklagte mit, das Arbeitsverhältnis sei bis zum 29.02.2016 verlängert. Die Klägerin war über den 22.06.2015 hinaus tätig. Am 15.02.2015 suchte der Lebenspartner der Beklagten (der tatsächlich die Geschäfte führte) die Klägerin in ihrer Wohnung auf und unterbreitete ihr einen Aufhebungsvertrag zum gleichen Tag, den die Beklagt unterschrieb. Mit Ausnahme von überzahlten Arbeitsstunden sollten mit dem Vertrag alle wechselseitigen Ansprüche abgegolten sein.

 

Die Klägerin ließ in der Folge den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung anfechten und widerrief hilfsweise ihre Zustimmung zum Vertragsabschluss. Da die Beklagte an der Aufhebung festhielt, klagte die Klägerin auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Aufhebungsvertrag oder Befristungsbarde beendet worden sei und fortbestünde, wobei sie geltend machte, sie habe am 15.02.2016 erkrankt im Bett gelegen. Der Lebenspartner der Beklagten habe erklärt, ihre Faulheit nicht zu unterstützen, ihr den Vertrag hingehalten und sie habe diesen dann unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben. Rst später habe sie festgestellt, was sie gemacht habe. Der Widerruf sei gem. §§ 355 Abs. 1 und Abs. 2 BGB fristgerecht erfolgt.

 

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

 

Richtig sei allerdings, so das LAG, das der Vertrag nicht nichtig oder anfechtbar sei und auch ein Widerruf nicht in Betracht käme. Eine Nichtigkeit sei vom LAG zutreffend negiert worden, da die Behauptung der Klägerin zu einem Zustand vorrübergehender Störung ihrer Geistestätigkeit nach § 105 Abs. 2 2. Alt. BGB nicht hinreichend substantiiert gewesen sei. Aus diesem Grund käme auch eine Anfechtung nach §§ 119ff BGB nicht in Betracht.

 

Da formularmäßige Abreden zu Art und Umfang von Hauptleistungen und der dafür zu zahlenden Vergütung nicht der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unterlägen, § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, käme auch eine Angemessenheitskontrolle nicht in Betracht.

 

Ein Widerrufsrecht gem. § 355 iVm. 312g Abs. 1, 312b BGB scheide auch aus, da deren Anwendungsbereich gem. § 312 Abs. 1 BGB nicht gegeben sei. Damit könne der Aufhebungsvertrag nicht deshalb widerrufen werden, da er in der Wohnung der Klägerin schlossen worden sei. Zwar handele es sich um einen Verbrauchervertrag; die Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB, systematischer Zusammenhang und gesetzgeberischer Wille ergäben allerdings, dass hier die Norm für die arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarung nicht den Anwendungsbereich des 2. Kapitels und damit der §§ 312n, 312g BGB eröffnen würden.

 

Nicht geprüft habe aber das Landesarbeitsgericht, ob der streitgegenständliche Vertrag unter Verstoß gegen das sogen. Gebot des fairen Verhandeln zustande gekommen sei und von daher unwirksam sei. Für den Verstoß seien Anhaltspunkte erkennbar; da die Feststellungen nicht für eine Entscheidung durch das BAG ausreichen würden, müsste das Landesarbeitsgericht nach Zurückverweisung dazu neu verhandeln du entscheiden.

 

Der Gefahr der Überrumplung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen (da z.B. diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden) könne mit dem Gebot fairen Verhandeln begegnet werden. Bei diesem Gebot handele es sich im Zusammenhang mit Verhandlungen zu einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSv. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 241 Abs. 2 BGB, da es sich bei dem Aufhebungsvertrag um ein eigenständiges Rechtsgeschäfts handele. Die aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen zur wechselseitigen Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB würden auf die Verhandlungen bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausstrahlen. Das Gebot fairen Verhandelns schütze daher durch §§ 105, 119ff BGB erfasste Willensmängel unterhalb der dort  vorgegebenen Schwelle im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen. Bei Vertragsverhandlungen seien regelmäßig widerstreitende Interessen wahrzunehmen, die nicht geleugnet werden müssten, sondern lediglich im Interesse der Gegenseite angemessen berücksichtigt werden. Dabei käme dem Arbeitgeber u.U. auch eine Aufklärungs- und Hinweispflicht zu (BAGE 161, 245; BAG, Urteil vom 15.12.2016 – 6 AZR 578/15 -). Danach verstößt derjenige gegen die Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB, der eine Verhandlungssituation herbeiführe oder ausnutze, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstelle. Es ginge dabei nicht um die Schaffung einer für den Vertragspartner möglichst angenehmen Verhandlungssituation. Es müssten aber psychische Drucksituationen vermieden werden, und es dürften auch nicht körperliche oder psychische gebrechen wie auch Sprachunkenntnis ausgenutzt werden.

 

Der Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns sei in der Regel die Unwirksamkeit des darauf beruhenden Vertrages. Einer neuen (vertraglichen) Vereinbarung bedürfe es nicht.

 

Die Beweislast für den Verstoß gegen ein faires Verhandeln trage derjenige, der sich darauf berufe. 


Aufhebungsvereinbarung und Klageverzicht

BAG, Urteil vom 12.03.2015 - 6 AZR 82/14 -

Der Arbeitgeber, der einem Arbeitnehmer fristlos kündigen will, versucht häufig  - zur Vermeidung einer arbeitsgerichtlichen Klage -  einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer zuschließen. In diesem wird dann ausdrücklich aufgenommen, dass der Arbeitnehmer auf eine Klage verzichtet. Doch Vorsicht. Handelt es sich bei dem Aufhebungsvertrag um ein Formular, d.h. um einen Vertrag, der von seinem Inhalt her für eine Vielzahl von Fällen bestimmt ist. Ein solcher Vertrag unterfällt dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305ff BGB. Das BAG hat entschieden, dass der Klageverzicht dann nach § 307 Abs. 1 BGB (Inhaltskontrolle) unwirksam ist, wenn er den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Dies wäre bei dem Klageverzicht nur dann nicht der Fall, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich war. Dies wäre, klagt der Arbeitnehmer trotz des Vertrages unter Anfechtung desselben, vom Arbeitsgericht zu prüfen.