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Prozesskostenhilfe


Keine Befreiung von auf Staatskasse übergegangenen Ansprüchen, § 59 RVG

OLG München, Beschluss vom 11.07.2022 - 1 WF 352/22 -

In einem Familienrechtsverfahren wurde beiden Seiten Prozesskostenhilfe (PKH) gewährt. In diesem Verfahren legte das Familiengericht Antragsteller und Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu je 50% auf. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin gem. §§ 49 ff RVG die Festsetzung seiner Gebühren verlangte und diese in Ansehung der gewährten PKH von der Staatskasse ausgeglichen wurden, machte die Staatskasse die auf sie nach § 59 RVG übergegangenen Rechtsanwaltskosten mit Schlusskostenrechnung entsprechend der Quote in dem Kostenbeschluss des Familiengerichts gegen den Antragsteller geltend. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit seiner Erinnerung. Das Familiengericht wies die Erinnerung zurück. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte lediglich betreffend der berechneten Termingebühr Erfolg, da ein Termin oder eine Besprechung als Voraussetzung nicht stattgefunden hatte, und wurde im Übrigen zurückgewiesen.

 

Im Rahmen seiner Entscheidung wies das OLG darauf hin, dass es an seiner bisherigen Auffassung (Beschlüsse aus 2001 und 1013) nicht mehr festhalte und sich der ganz herrschenden anderweitigen Meinung im Schrifttum zur Frage der Berechtigung der Geltendmachung der auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche gegenüber der anderen, auch prozesskostenberechtigten Partei anschließe.

 

 Soweit in § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO von „beigeordneten Rechtsanwälten“ die Rede sei, könne dies allenfalls ein Indiz dafür sein, dass der aus einer PKH auf die Staatsasse übergegangene Anspruch nicht gegenüber der anderen Partei, der auch PKH gewährt worden sei, geltend gemacht werden könne. Theoretisch sei es auch möglich, dass einer Partei zwei Rechtsanwälte beigeordnet werden. Angesehen davon sei in der Verwendung des Plurals durch den Gesetzgeber kein Argument dafür zu sehen, dass § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO auch Ansprüche aus § 126 ZPO (Beitreibung der Kosten durch die Partei selbst) sperre, soweit diese auf die Staatskasse übergegangen seien. Zudem ließe sich eine Sperre aus den Gesetzesmaterialien auch nicht klar entnehmen und könne auch eine gesetzgeberische Vorstellung ohnehin nicht im Vergleich zum Wortlaut und der klaren Vorgabe in §$ 123 ZPO entscheidende Bedeutung zukommen.

 

In den früheren Entscheidungen habe der Senat des OLG auf den Zweck der Verfahrenskostenhilfe abgestellt. Dieser stünde aber der Geltendmachung der Ansprüche der Rechtsanwälte über § 59 RVG nicht entgegen. Auch eine weniger bemittelte Partei soll die Chance erhalten, ihre Rechte durchzusetzen, weshalb die Staatskasse nach Maßgabe des entsprechenden bewilligenden PKH-Beschlusses des Gerichts sowohl die Gerichts- als auch die Anwaltsgebühren übernehme (§ 122 ZPO). Dass auch die Anwaltskosten des obsiegenden Gegners übernommen würden, finde sich im Gesetz nicht. Es bliebe bei der Wertung des § 123 ZPO (OLG Hamm Beschluss vom 23.09.2016 - 6 WF 190/16 -; OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2018 - 9 WF 1426/18 -).

 

Zwar ließe sich im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Senats dagegen einwenden, dass die Staatskasse, anders als die gegnerische Partei nach § 123 ZPO oder deren Rechtsanwälte nach § 126 ZPO, die bedürftige Partei unterstützen, nicht bare mit Verfahrenskosten belasten soll.  Dieser Nachteil einer prozesskostenhilfebedürftigen Partei sei aber der gesetzlichen Ausgestaltung immanent. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass die unterlegene Partei (der KH bewilligt wurde) nicht für die Kosten der Gegenseite aufkommen müsse, hätte er dies deutlich regeln können, zumal in diesem Fall auch die Regelungen in §§ 123 und 126 ZPO nicht passen würden. Zwar habe der Gesetzgeber mehrfach kostenrechtliche Änderungen vorgenommen, nicht aber zu §§ 123, 126 ZPO.

 

Von daher könnten nach ganz herrschender Meinung, der sich der Senat anschließen würde, auf die Staatskasse übergegangene Ansprüche von Rechtsanwälten iSv. § 126 ZPO auch gegen eine Partei geltend gemacht werden, der PKH gewährt worden sei.

 

Ob die Staatskasse eine derartige Forderung gegen eine Partei, der PKH ohne Ratenzahlung bewilligt wurde, geltend machen soll oder dies Erfolg verspreche, sei eine Frage der Praktikabilität und würde nicht durch § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO untersagt.

 

 

Anmerkung: Es ist häufig einer Partei, die Prozesskostenhilfe begehrt, dass sie im Falle des Unterliegens (oder auch quotenmäßigen Unterliegens) verpflichtet ist, die Kosten der Gegenpartei zu tragen (auch wenn dieser selbst PKH bewilligt wurde). Gerade in einem solchen Fall sollte sich die um PKH nachsuchende Partei überlegen, ob sie mit der von ihr vertretenen Rechtsansicht (auch im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast) tatsächlich erfolgreich sein kann. 


Einstweilige Anordnung des BVerfG wegen Versagung der Prozesskostenhilfe

BVerfG, Beschluss vom 03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -

Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.

 

Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.

 

Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.

 

Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.

 

Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.

 

 

Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.