Rechtsprechung

Verfassungsrecht


Keine einstweilige Anordnung gegen Schließung von Fitnessstudios (Corona)

BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1 BvR 899/20 -

Es war letztlich nach den bisherigen Entscheidungen des BVerfG zu Restriktionen im Zusammenhang mit Corona zu erwarten, dass auch die beantragte Anordnung einstweilige Anordnung gegen eine Rechtsverordnung (hier des Landes Baden-Württemberg) gegen eine Rechtsverordnung zur Abwehr des Coronavirus abgewiesen wurde, mit der der Betrieb von Fitnessstudios für den Publikumsverkehr bis (vorläufig) zum 03.05.2020 untersagt wurde.

 

1. Grundlage der Rechtsverordnung war auch hier § 32 iVm §§ 28 Abs. 1 S. 1 und 2, 31 InfSG (idF. vom 20.07.2000m zuletzt geändert mit Gesetz vom 27.03.2020). Gerügt wurde von der Beschwerdeführerin als Betreiberin eines Fitnessstudios ihr verfassungsrechtlich garantiertes Recht zur freien Berufsausübung gem. Art. 12 Abs. 1 GG.

 

Standardmäßig verweist das BVerfG darauf, dass eine vorläufige Regelung durch einstweilige Anordnung erforderlich sein kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gefahren oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringen geboten sei. Bei offenen Ausgang seien die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg versagt bliebe. Darauf basierend erkennt das BVerfG, dass bei einer Versagung des begehrten Rechtsschutzes die Betreiber solcher Einrichtungen einen schwerwiegenden und teilweise irreversiblen Eingriff in ihr nach Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Recht der Berufsfreiheit mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen hinzunehmen hätten. Auf der anderen Seite hätte, sollte der Verfassungsbeschwerde der Erfolg versagt bleiben, zur Konsequenz die Wiedereröffnung zahlreicher Fitnessstudios (hier in Baden-Württemberg), was mit einer Zunahme sozialer Kontakte und damit des Risikos erneuter Infektionsketten den von Menschen übertragbaren Coronavirus einherginge mit der Gefahr der Erkrankung vieler Personen mit teilweise schwerwiegenden und tödlichen Krankheitsverläufen sowie der Gefahr der Überlastung gesundheitlicher Einrichtungen. Dem könne durch Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios entgegengewirkt werden.  Unter Beachtung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG, das zu schützen der Staat habe, müssten die allerdings schwerwiegend Beeinträchtigung der Berufsfreiheit  und die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber der Fitnessstudios zurücktreten. Ohne dass dem die Beschwerdeführerin in ihrer Verfassungsbeschwerde entgegen getreten sei, habe der VGH Baden-Württemberg darauf verwiesen, dass die wirtschaftlichen Folgen der Betriebsuntersagung durch staatliche Hilfsprogramme „etwas abgemildert würden“. Zudem sei durch die Befristung sichergestellt, dass neuere Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden müssten.

 

2. Die Entscheidung des BVerfG setzt sich, wie die bereits zuvor zu Betriebsuntersagungen im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen zur Abwehr des Coronavirus, nicht mit Art. 19 GG auseinander. Art. 19 GG verlangt, dass im Falle einer Einschränkung eines Grundrechts (hier betroffen jenes aus Art. 12 Abs. 1 GG) durch ein Gesetz (hier das Infektionsschutzgesetz – InfSG) diese Grundrecht unter Angabe des Artikels im Gesetz zu benennen ist, Art 12 Abs. 1 S. 2 GG. Daran ermangelt es hier, da im InfSG weder das Grundrecht noch der Artikel benannt wurden, vgl. § 19 Abs. 1 S. 4 GG. Art. 19 GG gilt als formelle Sicherung der Grundrechte und Rechtsschutzgarantie. Mit der Regelung sollten auch versteckte Grundrechtsbeschränkungen unmöglich gemacht werden. Im Zusammenhang mit der Änderung der Strafprozessordnung zu § 112a StPO hatte das BVerfG entschieden, dass der dort unterlassene Hinweis auf die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG zulässig sei (Beschluss vom 30.05.1973 - 2 BvL 4/73 -). Auch hat das BVerfG entschieden, dass berufsregelnde Gesetze keine Einschränkung iSv, Ar 19 Abs. 1 GG darstellen würden und damit keines Hinweises bedürfen (Beschluss vom 04.05.1983 - 1 BvL 76/80 -). In dem letztgenannten Verfahren ging es um die Regelung, dass die Anerkennung als Prüfingenieur für Baustatik mit Vollendung des 70. Lebensjahres ende. Das Zitiergebot, so das BVerfG, würde nicht gelten, wenn der Gesetzgeber „in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt“. Dies ist nicht vergleichbar mit der hier vorgenommen Einschränkung, die die Berufsausübung, wenn auch (zunächst) zeitlich befristet, vollständig verbietet. Die Berufsausübung kann zwar durch Gesetzes oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden; eine „Regelung“ dahingehend, dass sie vollkommen untersagt wird, greift in den Kernbereich ein (nach Art. 19 Abs. GG untersagt), die nicht die Art oder den Umfang der Berufsausübung regelt, sondern diese verhindert.

 

Erfolgte damit kein Hinweis in dem Infektionsschutzgesetz zum Eingriff in die Berufsausübung, kann dieses Gesetz auch nicht Grundlage einer die Schließung vorsehenden Rechtsverordnung sein. Es lässt sich hier zudem auch nicht annehmen, dass der Gesetzgeber diesen Eingriff  vor Augen hatte. § 28 Abs. 1 InfSG weist auf die Zielgruppe hin und verweist für die Schutzmaßnahmen auf die §§ 28 – 31 InfSG. In § 31 InfSG ist ein Tätigkeits-/Berufsverbot vorgesehen, aber nur beschränkt auf Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider sowie für Personen, die den Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr der Weitverbreitung besteht. Ein Generalverdacht ist nicht normiert.

 

3. § 56 InfSG regelt den Entschädigungsanspruch für Personen, die nach § 28 Abs. 1 InfSG von Maßnahmen betroffen sein können. Für den Verdienstausfall können sie eine Entschädigung in Geld verlangen, § 56 Abs. 1 InfSG. Die Entschädigung richtet sich nach dem Verdienstausfall und soll bis zu sechs Wochen dem entgangenen Verdienst (§ 56 Abs. 3 InfSG), danach in Höhe des Krankengeldes (soweit nicht das Jahresarbeitsentgelt die Grenze der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht übersteigt, gewährt, § 56 Abs. 2 InfSG.

 

Ersichtlich ging der Gesetzgeber, soweit nicht expressis verbis auf bestimmte Einrichtungen wie Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen abgestellt wird, in § 56 Abs. 2 InfSG, davon aus, dass Arbeitnehmer betroffen sind. Soweit Selbständige betroffen sind, regelt § 56 Abs. 4 S. 2 wird unter Bezugnahme auf Abs. 2 geregelt, dass neben der dortigen Entschädigung weiterhin auf Antrag Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben „in angemessenen Umfang“ zu gewähren ist. Ferner „können“ bei Existenzgefährdung gem. §  56 Abs. 4 S. 1 InfSG die während der Verdienstausfallzeit entstehenden Mehraufwendungen in angemessenen Umfang erstattet werden.

 

 

Werden hier die Fitnessstudios auf der Grundlage der §§ 28ff InfSG geschlossen, so wäre jedenfalls entsprechend § 56 InfSG eine Entschädigung zu leisten. Die betroffenen Betreiber werden prüfen müssen, ob die staatlich zur Verfügung gestellten Mitteln dem entsprechen, was sie nach § 56 Abs. 4 InfSG geltend machen könnten. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre zu überlegen, den weitergehenden Anspruch geltend zu machen. Sollten sich die auf dem Infektionsschutzgesetz zur Begründung der Rechtsverordnungen zur Schließung als verfassungswidrig erweisen, hätten die Betroffenen einen weitergehenden Schadensersatzanspruch. Weiterhin ist § 65 InfSG zu beachten, wonach bei einem nicht unwesentlichen Vermögensnachteil durch eine behördliche Maßnahme eine Geldentschädigung zu erfolgen hat.

 


Grundrechtsabwägung: Glaubensfreiheit versus körperliche Unversehrtheit bei Corona-Bekämpfung

BVerfG, Beschluss vom 10.04.2020 - 1 BvQ 28/20 -

Der Antragsteller, Katholik, wandte sich gegen § 1 Abs. 5 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 17.03.2020, zuletzt geändert 20.03.2020, in der Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften untersagt wurden. Nachdem der HessVGH mit Beschluss vom 07.04.2020 – 8 B 892/20.N – eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung bis zur Entscheidung in der Hauptsache ablehnte, beantragte der Antragsteller beim BVerfG eine einstweilige Anordnung. Diese wurde abgelehnt.

 

Das BVerfG geht nicht auf die Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Verordnung ein. Gegenstand ist vielmehr vor dem Hintergrund der Begründung durch den Antragssteller, dass dieser regelmäßig wöchentlich die Heilige Messe (Eucharistiefier) und die Gottesdienste an den Osterfeiertagen besuche, die Abwägung der Grundrechte, da der Antragsteller die Ansicht vertrat, ein vollständiges Zurücktreten des Grundrechts auf Glaubensfreiheit in Gestalt ungestörter gemeinsamer Religionsausübung  hinter das kollidierende Grundrecht auf Leben bzw. körperliche Unversehrtheit sei unverhältnismäßig.

 

Formal bezieht sich das BVerfG auf § 32 Abs. 1 BVerfGG, wonach es einen Streitfall durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln könne, wenn dies „zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten“ sei. Die die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes betreffenden Gründe hätten außer Betracht zu bleiben, es sei denn die Verfassungsbeschwerde erweise sich von vornherein als unbegründet oder unzulässig; diese Begründung beinhaltet inzident die Aussage, eine offensichtlich zulässige und begründete Verfassungsbeschwerde kann auch nicht notwendig bereits Erfolg im Rahmen einer einstweiligen Anordnung haben. Bei danach anzunehmenden offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde seien die Folgen abzuwägen, die bei unterlassener einstweiliger Anordnung im Falle späteren Erfolgs der Verfassungsbeschwerde entstünden, gegen jene Folgen, die im Falle der Stattgabe der einstweiligen Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde eintreten würden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 10.03.2020 - 1 BvQ 15/20 -).

 

Da die (noch zu erhebende) Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre, sei vorliegend die Abwägung vorzunehmen. Die für eine vorläufige Regelung durch das BVerfG sprechenden Gründe müssten so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass der einstweiligen Anordnung unabweisbar machen würden. Es seien die Folgen nicht nur für den Antragsteller, sondern auf alle von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen.

 

Auf der einen Seite sei hier zu berücksichtigen, dass – nach der nachvollziehbaren Darlegung des Antragstellers –  die gemeinsame Feier der Eucharistie ein zentraler Bestandteil des Glaubens sei, der nicht durch alternative Formen ersetzbar sei. Daher würde es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG handeln. Hätte mithin eine Verfassungsbeschwerde Erfolg, läge ein irrevisibler Eingriff in das Recht vor.

 

Wenn aber die einstweilige Anordnung erlassen würde, eine Verfassungsbeschwerde dann aber  keinen Erfolg haben würde, sei davon auszugehen, dass sich viele Menschen zu Gottesdiensten in Kirchen versammeln, insbesondere an den Osterfeiertagen. Die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung von vielen Personen und der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen und schlimmstenfalls auch des Todes von Menschen würde sich erhöhen. Dabei bliebe diese Gefahr durch Folgeinfektionen auch nicht auf die Teilnehmer der Gottesdienste beschränkt.

 

 

Der Staat sei zum Schutz der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet (u.a. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -). Hinter dieser Verpflichtung müsse das Recht auf die gemeinsame Feier von Gottesdiensten zurücktreten. Der schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit zum Schutz von Gesundheit und Leben sei auch deshalb vertretbar, da die Verordnung vom 17.03.2020 und damit auch das in Rede stehende Verbot zeitlich bis zum 19.04.2020 befristet sei. Es sei damit sichergestellt, dass nach Maßgabe der Entwicklung der Corona-Pandemie eine Fortschreibung erfolge.