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Streitwert


Bei auswechseln der offenen Mieten ist der Wert aller Mieten zu addieren (Streitwert)

LG Stendal, Beschluss vom 14.07.2021 - 25 T 86/21 – und

nachfolgend: OLG Naumburg, Beschluss vom 20.10.2021 - 3 W 19/21 -

Der Kläger machte zunächst gegen die Beklagten den rückständigen Mietzins für die Monate Januar bis Mai 2020 sowie eine Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2019 mit insgesamt € 4.396,46 geltend. Nachdem die Beklagte Erfüllung der Mietforderungen für Januar bis März 2020 einwandten, machte der Kläger nunmehr insoweit einen Mietrückstand für die Monate April bis Juni 2020, eine Nutzungsentschädigung für Juli 2020 und Mietrückstände für August sowie Dezember 2019 mit insgesamt € 5.091,94 geltend. Das Amtsgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung von € 4.551,46 zuzüglich Zinsen und außergerichtlicher Anwaltsgebühren und erlegte die Kosten des Rechtsstreits zu 62% den Beklagten und zu 38% dem Kläger auf; den Streitwert setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13.04.2021 auf € 7,401,94 fest. Die Höhe des Streitwerts begründete es mit den durch die Klageerweiterung vorgenommenen dortigen Klageantrag von € 5.091,94 sowie den zuvor geltend gemachten Mieten Januar bis März 2929 und der Betriebskostennachzahlungsforderung, hinsichtlich derer die Klage im Zuge der Klageerweiterung konkludent zurückgenommen worden sei.

 

Gegen den Streitwertbeschluss richtete sich die Beschwerde des Klägers, der die Festsetzung eines Streitwerts von € 5.091,94 begehrte. Es habe keine konkludente Klagerücknahme vorgelegen, sondern eine sachdienliche Klageänderung. Dem folgten das Landgericht und (auf die vom Landgericht zugelassene weitere Beschwerde) das Oberlandesgericht nicht.

 

Das Landgericht folgte dem Kläger dahingehend, dass es sich bei seinem neuen Klageantrag (teilweise) um eine Klageänderung gem. § 263 ZPO gehandelt habe, insoweit die Mietforderung für Januar bis März zurückgenommen worden sei und gleichzeitig die Klage für die Mietforderungen aus den Monaten August und Dezember 2019 und Juni 2020 sowie (in Bezug auf eine Nutzungsentschädigung) für Juli 2020 erweitert worden sei.

 

Sodann setzte sich das Landgericht mit der unterschiedlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auseinander, ob bei einer Klageänderung wie vorliegend bei wirtschaftlich nicht identischen Streitgegenständen die Streitwerte gem. § 39 Abs. 1 GKG zu addieren seien. Es schloss sich der Ansicht an, dass eine Addition stattzufinden habe. Eine Begrenzung der vorzunehmenden Zusammenrechnung auf gleichzeitig anhängige Ansprüche ließe sich dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG nicht entnehmen. Eine Vorschrift, welche die Zusammenrechnung wie § 45 GKG von besonderen Voraussetzungen abhängig mache, würde fehlen. Auch sei der Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG weit gefasst und erlaube gegenüber der allgemeinen Verweisung in § 48 Abs. 1 S. 1 GKG ein anderes Verständnis für den Gebührenstreitwert, da § 489 GKG für die Frage der Zuständigkeit entscheidend sei. Anders als bei dem Zuständigkeitsstreitwert gäbe es bei der Bemessung des Gebührenstreitwerts an Hand der anhängig gewordenen Streitgegenstände gem. §§ 40, 47 GKG keinen Grund, die Zusammenrechnung auf gleichzeitig erhobene Ansprüche zu beschränken.

 

Das Oberlandesgericht folgte dem Landgericht in seiner Bewertung. Es verwies ergänzend darauf, dass auch für eine Addition der Werte aller je in das Verfahren eingeführten Streitgegenstände ein praktischer Gesichtspunkt spräche: Seien Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (Anm.: wie die Miete aus einem Mietvertrag) zu erfüllen, hätten es die Parteien je nach Verfahrenslänge in der Hand, den Verfahrenswert konstant niedrig zu halten, indem sie von der Verfolgung erfüllter Monatsraten „formfrei Abstand nehmen“ könnten und den Nominalbetrag des Klageantrages jeweils mit neuen in Rückstand geratenen Klagen auffüllen. Der Streitwert bliebe in diesem Fall jeweils unverändert, obwohl sich das Gericht jeweils mit der nicht absehbaren Anzahl von Monaten auseinanderzusetzen hätte.

 

Folgerichtig sei zudem nach Ansicht des Oberlandesgerichts die Addition der Streitwerte auch deshalb, da § 40 GKG darauf beruhe, dass der den jeweiligen Streitgegenstand betreffende Antrag maßgebend sei, der den Rechtszug einleite. Dieser Norm hätte es nicht bedurft, wenn die Addition eine zeitgleiche Verfahrenseinleitung voraussetze. Wenn aber eine zeitgleiche Einleitung nicht erforderlich sei, müssten auch die Streitgegenstände nicht bis zum Verfahrensabschluss verfolgt werden, wenn - wie hier - eine Partei wegen erkannter Teilerfolglosigkeit der Klage eine Teilrücknahme dadurch zu umgehen versucht und eine Erklärung nur deshalb nicht abgibt, um eine nachteilige Kostenlast zu vermeiden.

 

 

Anmerkung: Der Streitwert ist Grundlage für die Berechnung der Gerichtskosten und der anwaltlichen Gebühren, ebenso für eine Kostenverteilung im Urteil.


Streitwertrelevanz von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren

BGH, Beschluss vom 07.07.2020 - VI ZB 66/19 -

Der Kläger machte Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Hierauf nahmen die Beklagten eine Teilregulierung (€ 526,96 von € 1.053,91) vor; eine Ausgleichung der Kosten des Klägers für dessen außergerichtliche anwaltliche Vertretung erfolgte nicht. Der von den Beklagten nicht ausgeglichene Restbetrag wurde vom Kläger klageweise geltend gemacht. Weiterhin beantragte er seine Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren aus einem Wert von € 1.053,91 mit € 201,71. Das Amtsgericht wies die Klage ab; die Berufung des Klägers wurde als unzulässig zurückgewiesen, da die notwendige Beschwer von über € 600,00 (§ 511 Abs. 2 ZPO) nicht erreicht sei. Die Rechtsbeschwerde wurde vom BGH als unbegründet zurückgewiesen. 

 

Der BGH konnte sich in diesem Verfahren mit den außergerichtlichen Anwaltsgebühren auseinandersetzen. Handelt es sich bei diesen um eine Nebenforderung, so haben sie keinen Einfluss auf den Streitwert; sollte es sich bei ihnen um eine Hauptforderung handeln, erhöhen sie sie Streitwert. 

 

Der Wert wird nach §§ 3ff ZPO bemessen. Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren erhöht als Nebenforderung dann nicht den Wert des Beschwerdegegenstandes (und damit entsprechend den Streitwert), soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Rechtsverfolgung vorgerichtlich die Anwaltsgebühren angefallen sind (§ 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO). Wenn aber die Hauptforderung, für die die Anwaltsgebühren vorgerichtlich anfiel, nicht selbst Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei diesen nicht um eine Neben- sondern um eine eigenständige Hauptforderung. Der BGH verweist darauf, dass entscheidend sei, dass die Hauptforderung selbst Prozessgegenstand sein muss, damit die darauf beruhenden Anwaltsgebühren als Nebenforderung anzusehen sind. 

 

Daraus folgt nach der nachvollziehbaren Entscheidung des BGH, dass der Freistellungsantrag des Klägers den Wert des Beschwerdegegenstandes (Streitwert) insoweit erhöht, soweit dieser Anspruch denjenigen Teil des vorprozessualen Sachschadens von € 1.053,91 betrifft, den die Beklagten vor Klageerhebung beglichen hatten und der damit nicht mehr streitgegenständlich war. 

 

Da der Kläger seinen gesamten Sachschaden ersetzt haben wollte, machte er auch aus diesem Wert seinen Freistellungsanspruch geltend. Da allerdings ein Teil des Sachschadens vorgerichtlich reguliert wurde sei der Wert des Anteils der Anwaltsgebühren durch eine Differenzberechnung zu ermitteln um festzustellen, inwieweit der Freistellungsantrag eine eigenständige Hauptforderung darstellt. Hierbei seien von den vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen, die entstanden wären, wenn der Anwalt auch vorprozessual den Anspruch auf Schadensersatz wegen des Sachschadens nur in der Höhe geltend gemacht hätte, wie er nunmehr Gegenstand der Klage ist.  Richtig sei zwar der Hinweis der Rechtsbeschwerde, dass dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger der Gegenstandswert zugrunde zu legen sei, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspräche (BGH, Urteil vom 05.12.2017 - VI ZR 24/17 -) und dass bei einer nicht begründeten Zuvielforderung keine anteilige Kürzung der zuzusprechenden Anwaltsgebühren erfolge sondern eine Berechnung auf Basis der zugesprochenen Hauptforderung, doch würde sich daraus kein Schluss zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenforderung ziehen lassen. 

 

Das Landgericht hatte den Wert der für die Nebenforderung zugrundezulegenden Anwaltsgebühren aus dem Wert der Klageforderung von € 526,96 mit (richtig) € 147,56 angenommen. Bei einem Wert von € 1.053,92 würden Anwaltsgebühren von € 201,71 anfallen. Die Differenz bei den Anwaltsgebühren beträgt damit € 54,15. Dieser Betrag von € 54,15 würde damit auch nach Auffassung des BGH den Wert des Streitgegenstandes im Klageverfahren erhöhen (Sachschaden € 526,96 zuzüglich Freistellungsanspruch für vorgerichtliche Anwaltsgebühren mit € 54,15), weshalb die notwendige Beschwer (entsprechend dem Streitwert) unter der Beschwer von über € 600,00 nach § 511 Abs. 2 ZPO liegt. Die Berufung war mithin unzulässig.


Zur Beschwerdefähigkeit der (vorläufigen) Streitwertfestsetzung

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 02.06.2020 - 1 W 16720 -

Die Antragstellerin bezifferte den Gegenstandswert des von ihr eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahrens mit € 28.713,00 (wobei sei bereits einen Abschlag von 2/3 im Hinblick auf die Verfahrensart vorgenommen haben will). Das Landgericht setzte den Gegenstandswert auf vorläufig € 5.000,00 fest und wies die Antragstellerin sodann auf Bedenken zur sachlichen Zuständigkeit (bis € 5.000,00 ist das Amtsgericht sachlich zuständig, § 23 Nr. 1 ZPO) hin. Gegen die Streitwertfestsetzung legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein.

 

Unzulässig, so die Ansicht des OLG, dem nach nicht erfolgter Abhilfe durch das Landgericht der Vorgang zur Entscheidung vorgelegt wurde.  

 

Grundsätzlich ist eine Beschwerdegegen eine lediglich vorläufige Streitwertfestsetzung nur zulässig, wenn diese die Zahlungen weiterer Kosten für die Tätigkeit des Gerichts bedinge, §§ 63 Abs. 1 S. 2m 67 Abs. 1 S. 1 GKG. Hier aber würde für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht einmal eine Vorschussverpflichtung bestehen. Auch Anwälte könnte aus eigenem Recht gegen die vorläufige Wertfestsetzung kein Rechtsmittel einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.

 

Auch wenn die vorläufige Streitwertfestsetzung (wie hier) der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit diene, sei ein Rechtsmittel unzulässig. Dies folge bereits aus § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO, wonach der Beschluss zur Zuständigkeit unanfechtbar sei und mittels einer entsprechenden Beschwerde § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO letztlich umgangen würde. Die in § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO benannte Bindungswirkung für das danach dann zuständige Ger9icht könne allenfalls bei Willkür entfallen.

 

 

Auch die in § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG vorgesehene Änderungsmöglichkeit für das Rechtmittelgericht für den Fall, dass der Rechtsstreit in der Rechtsmittelinstanz anhängig ist, begründe nicht die Zulässigkeit, da diese Regelung ansonsten eine unzulässige Umgehung der Rechtsmittelbeschränkung des § 68 Abs. 1 S. 1 GKG darstellen würde.