Rechtsprechung

Kapitalanlagerecht


Verjährungsbeginn bei fehlerhafter Rechtsanwendung durch Schädiger

BGH, Urteil vom 20.10.2022 - III ZR 88/21 -

Der Kläger machte gegen die Beklagte, einem Finanzdienstleistungsunternehmen, Schadensersatzansprüche mit der Behauptung fehlerhafter Anlagenberatung geltend. Diese verwies auf eine Anlage bei der B.-Stiftung, mit der der Kläger dann 2014 Kauf- und Lieferverträge abschloss. Nach dem Verkaufsprospekt sollten die Kunden Goldbarren mit einer Reinheit von 99,9% erwerben. In 2015 wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen die Geschäftsräume der B.-Stiftung durchsucht wurden, festgestellt wurde, dass von den Anlegergeldern in Höhe von € 57 Mio. nur Golf im Wert von € 10,58 Mio. erworben wurde, im Übrigen gelagertes Gold Falschgold gewesen wäre. Der Verblieb des Geldes blieb im Wesentlichen ungeklärt. Am 17.06.2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B.-Stiftung eröffnet. Der Kläger erfuhr davon und beauftragte einen Rechtsanwalt. Die Beklagte habe, so der Kläger, behauptet, die Investitionen des Klägers seien insolvenzfest, was rechtlich unzutreffend war. 

 

Am 13.11.2019 wurde seine Klage der Beklagten zugestellt, mit der er Schadensersatzansprüche mit der Begründung geltend machte, die Beklagte habe ihre Pflichten aus der Anlageberatung schuldhaft verletzt. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Das Landgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hin hob das Oberlandesgericht (OLG) dessen Urteil auf und wies die Klage, unter Verweis auf die nach seiner Ansicht eingetretene Verjährung, ab. Auf die zugelassene Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

 

Der BGH ging, wie zutreffend auch das OLG davon aus, dass die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) mangels anderweitiger Bestimmungen, mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Anspruch entstand und der Gläubiger sowohl von den anspruchsbegründenden Umständen wie auch von der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB). Ausreichend sei, dass der Gläubiger um die anspruchsbegründenden Umstände weiß und nicht, dass er den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt. Allerdings könne es auch ausnahmsweise auf die zutreffende rechtliche Würdigung ankommen, was auch das OLG erkannt habe, sich aber mit den Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Ausnahmesituation nicht befasst habe.

 

Läge der für den Schadensersatzanspruch erforderliche haftungsauslösende Fehler in einer falschen Rechtsanwendung des Schuldners (hier der Beklagten), könne die Kenntnis dieser Rechtsanwendung als solcher nicht ausreichen. Vielmehr müsste der Geschädigte (hier Kläger) Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis davon haben, dass die Rechtsanwendung fehlerhaft ist (BGH, Urteil vom 07.03.2019 - III ZR 117/18 - u.a.). Die Kenntnis alleine der tatsächlichen Umstände vermöge für den Laien noch keine Kenntnis der Pflichtwidrigkeit der Handlung vermitteln. Die Angabe der Beklagten über eine „Insolvenzfestigkeit der Investitionen“ des Klägers sei rechtlich unzutreffend gewesen, was aber dazu führen würde, dass beim Kläger von einer Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen erst ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden könne, dass die (vom Kläger behauptete Angabe rechtlich unzutreffend ist, was vom OLG übersehen worden sei.

 

 

Alleine der Umstand, dass der Insolvenzverwalter hinsichtlich der Aussonderung des erworbenen Goldes eine andere Rechtsansicht vertrat als die Beklagte, genüge für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht, da der Anleger bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nehme, dessen Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen er besonderes Gewicht beimessen würde. In der Regel stelle es daher kein grobes Verschulden gegen sich selbst dar,  wenn er „ohne dringenden Anlass“ davon absehe, dessen Angaben z.B. durch Lektüre des Emissionsprospektes zu überprüfen. Das Unterlassen einer Kontrolle des Beraters durch den Anleger weise auf ein Vertrauensverhältnis hin und sei nicht schlechthin unverständlich oder unentschuldbar im Sinne grober Fahrlässigkeit gem. § 199 Abs. 1 Nr.2  BGB; dies gelte auch für beschwichtigende Äußerungen des Beraters nach Zeichnung der Anlage (BGH, Urteil vom 07.07.2011 - III ZR 90/10 -). Hinzu käme, dass die den Kläger beratende Rechtsanwaltskanzlei noch im Jahr 2015 ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt sei, eine Klage gegen den Insolvenzverwalter auf Aussonderung des Goldes sei erfolgreich (Anm.: Auf eine dem Kläger als Mandanten zuzurechnende fehlerhaften Rechtsberatung geht der BGH nicht ein). Solange der Kläger von einer Insolvenzfestigkeit in Übereinstimmung mit dem mandatierten Anwalt und der Beklagten ausgehen durfte, läge daher keine grobe Fahrlässigkeit vor. Es spräche vieles dafür, dass die Verjährung erst in 2016 zu laufen begonnen habe, weshalb sie bei Klageerhebung in 2019 noch nicht eingetreten gewesen sei.


Darlegungslast bei Abweichung des Prospekts von mündlicher Beratung (Substantiierungsanforderung)

BGH, Beschluss vom 23.03.2021 - II ZR 5/20 -

Der Kläger beteiligte sich im März 2005 an einen in Form einer GmbH & Co. KG geführten geschlossenen Schiffsfonds, bei dem die beklagten zu 1 und 2 die Gründungskommanditisten, die Beklagte zu 3 die Treuhänderin war. Mit seiner Klage begehrte er Zahlung von € 85.500,00 zuzüglich Nebenforderungen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus seiner Beteiligung. U.a. machte er eine den Beklagten zurechenbare nicht anlagegerechte Beratung durch den Zeugen S. geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts (Hanseatisches OLG Hamburg) auf und wies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Die Zurückweisung beruhte darauf, dass nach Ansicht des BGH das OLG das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 GG) verletzt habe, indem es nicht den Berater (den zeugen S.) und die vom Kläger benannte Ehefrau des Klägers zu einer vom Kläger behaupteten und dazu benannten, vom Prospekt abweichenden Beratung als Zeugen vernahm.

 

Das OLG habe die Auffassung vertreten, der Kläger habe dazu widersprüchlich und damit nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. So habe er schriftsätzlich vorgetragen, der Prospekt sei bei dem Anlagegespräch mit dem Berater durchgeblättert worden, andrerseits, der Berater habe die Anlage als sicher und für die Altersvorsorge geeignet dargestellt. Das Landgericht habe den Kläger im Termin darauf hingewiesen, dass doch zumindest die Lektüre des Prospekts erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Beraters hätten wecken können, da der Prospekt auf die unternehmerische Natur der Beteiligung verwies und damit verbundene erhebliche Risiken. Der Kläger habe dazu (auch im Berufungsverfahren) keine Ausführungen gemacht.

 

Nach Auffassung des BGH stellte sich die Nichtberücksichtigung der Beweisangebote als entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs dar, Art. 104 GG, § 544 Abs. 9 ZPO.

 

Würde ein Beweisangebot, welches erheblich ist, ohne Stütze im Prozessrecht abgelehnt verstoße dies gegen Art. 103 GG. Dies sei auch dann der Fall, wenn die fehlende Berücksichtigung des Beweisangebots darauf beruhe, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei stelle. In diesem Fall verschließe sich das Gericht dem Umstand, dass eine Partei ihrer Darlegungslast schon dann genüge, wenn sie Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 22.06.2009 - II ZR 143/08 -). Garde dieser Anforderung habe aber der Vortrag des Klägers zu abweichenden Angaben des Beraters genügt. Dabei berücksichtigte der BGH den Umstand, dass das OLG offen ließ, ob die Beklagten für eine nicht anlagegerechte Beratung durch den Berater haften würden (weshalb dies für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist).

 

Auch könne nicht darauf abgestellt werden, dass der Kläger nicht auf den Hinweis einer angeblichen Widersprüchlichkeit reagiert habe. Darauf hätte er nicht eingehen müssen. Genügt der Vortrag den Anforderungen an die Substantiierung könne Vortrag zu weiteren Einzeltatsache nicht verlang werden; das Gericht müsse nur in die Lage versetzt werden zu entscheiden, ob aufgrund des tatsächlichen Vorbringens die gesetzlichen Voraussetzungen für das geltend gemachte Recht vorliegen.

 

Das Landgericht und ihm folgend das OLG hätten die Substantiierungsanforderungen überspannt. Auch wenn in dem Prospekt eine Aufklärung des Beitrittsinteressenten (hier zu Risiken) erfolgte, schließe dies nicht aus, unzutreffende (davon abweichende) Angaben des Vermittlers dem Gründungsgesellschafter zuzurechnen. Die zutreffenden Angaben und Aufklärung im Prospekt stelle sich nicht als Freibrief dar, Risiken hiervon abweichend darzustellen und ein Bild zu zeichnen, welches die Hinweise im Prospekt für die Entscheidung des Anlegers entwerte oder mindere (u.a. BGH, Urteil vom 06.11.2018 – II ZR 57&16 -). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägers, obwohl er mit dem Berater gemeinschaftlich den Prospekt durchblätterte, den davon abweichenden Angaben des Vermittlers vertraut habe. Ein Anleger, der die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse des Beraters oder Vermittlers in Anspruch nehme, würde den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen dieser Person, die diese ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreite, ein besonderes Gewicht beimessen, gegenüber dem Prospektangaben, die in der Regel allgemein gehalten und mit Fachbegriffen versehen seien, in den Hintergrund treten würden  (BGH, Urteil vom 14.04.2011 - III ZR 27/10 -).

 

 

Damit war das Urteil aufzuheben, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei Erhebung der angebotenen Beweise anders entscheiden hätte.