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Abgabenordnung


Beschwer bei Einkünftequalifikation, § 157 Abs. 2 AO ?

BFH, Beschluss vom 04.07.2023 - VI B 21/23 -

Der BFH musste sich im Rahmen der Beschwerde der Kläger gegen ein Urteil eines Finanzgerichts klären, ob eine Beschwer der Kläger vorlag, was er verneinte. Das Finanzamt hatte Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2017 bis 2019 erlassen, deren Aufhebung die Kläger (erfolglos) begehrten. Im Rahmen der Änderung nahm das Finanzamt eine andere Qualifikation der Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen vor, wogegen sich die Kläger wandten.

 

 

Dazu hielt der BFH fest, dass die Frage, ob die Steuerpflichtigen mit der Verpachtung (hier) der landwirtschaftliche genutzten Flächen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft oder aus Vermietung und Verpachtung erzielen würden, nach dem Grundsatz der Abschnittbesteuerung bei der Einkommensteuer als Jahresteuer (§ 2 Abs. 7 S. 1 u. 2 EStG) für jeden Veranlagungszeitraum neu zu entscheiden sei als (also keine Bindungswirkung für nachfolgende Veranlagungen). Es handele sich dabei um einen gem. § 157 Abs. 2 AO nicht selbständig anfechtbaren Teil der Einkommensteuerbescheide. Da diese Qualifizierung nicht zu einer höheren Einkommensteuer gegenüber der ursprünglichen Steuerfestsetzung führte, fehle es an einer notwendigen Beschwer (vgl. BFH, Beschluss vom 05.07.2011 – X B 222/10 –). 


Schenkungsweise Überragung der Immobilie und sofortige Weiterveräußerung – Steuerpflicht wegen Gestaltungsmissbrauch ?

BFH, Urteil vom 23.04.2021 - IX R 8/20 -

Die Klägerin erwarb 2011 eine Immobilie. In 2012 übertrug sie diese unentgeltlich auf ihre zwei Kinder zu je 50%, die am selben Tag die Immobilie an einen Dritten veräußerten: die Verkaufsverhandlungen wurden ausschließlich von der Klägerin geführt. Der Erlös aus dem Verkauf floss den Kindern der Klägerin zu je 50% zu. Da die für eine steuerfreie Veräußerung der Immobilie durch die Klägerin noch nicht abgelaufen war, besteuerte das Finanzamt den Gewinn zwischen dem Ankauf und dem Verkauf nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG bei der Klägerin; es ging bei der kostenfreien Übertragung auf deren Kinder von einem Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 Abs. 1 AO aus. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Revision führte zur Stattgabe der Klage.

 

Nach Ansicht des BFH habe sich nicht der Tatbestand des privaten Veräußerungsgeschäfts iSv. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG verwirklicht; in der direkt) vor der Weiterveräußerung vorgenommenen schenkungsweisen Übertragung der Immobilie auf ihre zwei Kinder läge kein Gestaltungsmissbrauch der Klägerin iSv. § 42 Abs. 1 AO.

 

Mit der schenkungsweisen Übertragung der Immobilie auf ihre Kinder habe die Klägerin keinen Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Die nachfolgende Veräußerung habe nicht sie, sondern hätten ihre Kinder vorgenommen, die auch den Veräußerungserlös erhielten.

 

In dieser Vorgehensweise läge auch kein Gestaltungsmissbrauch iSv. § 42 Abs. 1 AO. Die unentgeltliche Übertragung eines Grundstücks innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG unterfalle dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG und stelle auch bei der zeitlichen Nähe keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Nach § 42 Abs. 1 S.1 AO soll verhindert werden, dass das Steuergesetz nicht umgangen wird. Läge ein solcher Fall vor, würde der Steueranspruch so entstehen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde.

 

§ 23 Abs. 1 S. 3 StG sei eine Regelung zur Verhinderung der Steuerumgehung und damit eine spezielle Missbrauchsvorschrift iSv. § 42 Abs. 1 S. 2 AO. Danach soll für den Fall des unentgeltlichen Erwerbs dem Einzelrechtsnachfolger für die Zwecke des § 23 EStG die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in dessen Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zugerechnet werden. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale würden dem unentgeltlich erwerbenden Rechtsnachfolger zugerechnet. Damit sei das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen zu besteuern, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös erhalten habe. Die Regelung in § 23 Abs. 1 S. 3 EStG sei eine gesetzgeberische Reaktion darauf gewesen, dass bis zu dessen Inkrafttreten nur bei Kauf und Verkauf eine Besteuerung des Spekulationsgewinns erfolgen konnte, weshalb der BFH hier die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs für möglich erachtete (vgl. BFH, Urteil vom 12.07.1988 - IX R 149/83 -). Dies sei vom Gesetzeber in § 23 Abs. 1 S. 3 EStG umgesetzt worden.

 

Vorliegend sei der Tatbestand des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG erfüllt. Dies habe zur Folge, dass die Kinder der Klägerin einen jeweils einen hälftigen Veräußerungserlös versteuern müssen.

 

Es lägen hier auch keine Umstände vor, die im Einzelfall in der Gestaltung der Übertragung auf nahestehende Personen und einem damit im Zusammenhang stehenden, von vornherein geplanten Verkauf ausnahmsweise doch zur Anwendung des § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AO(Gestaltungsmissbrauch) führen könnten.

 

Voraussetzung wäre eine unangemessene rechtliche Gestaltung, die bei dem Steuerpflichtigen zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führe; dies greife dann nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse erheblich seien.

 

Es sei hier bereits vom FG getroffenen Feststellungen zur Schenkung sowie zur darauf erfolgten Veräußerung ließen keine unangemessene Vereinbarung erkennen. Nach der Schenkung hätten die Beschenkten uneingeschränkt über die Immobilie verfügen dürfen. Sie seien insbesondere nicht vertrag gebunden gewesen, an den Erwerber zu veräußern, mit dem ausschließlich die Klägerin die Verkaufsverhandlungen geführt habe. Die Kinder seien auch nicht zur Abführung des Verkaufserlöses an die Klägerin verpflichtet worden. Zudem sei durch die Veräußerung ein steuerbarer Veräußerungsgewinn nicht vermieden worden, der jetzt bei den Kindern zu erfassen sei.

 

 

Der BFH verkennt nicht, dass die Gestaltung gleichwohl steuerliche Wirkungen zeigte. So dürfte der Steuersatz bei den Kindern niedriger liegen und sich der auf sie jeweils entfallende Betrag zu einer geringeren Progression als bei der Klägerin führen. Wenn die Klägerin ihren Kindern Geld zuführen wollte und dies aus einer Veräußerung der Immobilie entnehmen wollte, so wäre nach Abzug der Steuern der auf sie entfallende Erlös geringer gewesen, als er jetzt ach der Gestaltung wohl war. Der BFH verweist darauf, dass der bei den Kindern zu versteuernde Veräußerungsgewinn niedriger besteuert würde als bei der Klägerin. Einem Steuerpflichtigen sei es aber nicht verwehrt, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergäbe. Das Bestreben, Steuern zu sparen, mache für sich allein eine Gestaltung nicht unangemessen iSv. § 42 Abs. 1 AO (z.B. BFH, Urteil vom 29.11.1982 - GrS 1/81 -). Der zulässige Steuervorteil ergäbe sich hier nur daraus, dass das Gesetz die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks akzeptiere mit der Folge, dass nicht der Schenker, sondern der Beschenkte nach dessen persönlichen Verhältnissen den Veräußerungsgewinn versteuern müsse.


Keine Berichtigung des Steuerbescheides Nach § 129 AO bei ernsthafter Möglichkeit eines Denk- oder Überlegungsfehlers

BFH, Urteil vom 12.02.2020 - X R 27/18 -

Der Kläger hatte seine an das Versorgungswerk geleisteten Beiträge fehlerhaft nicht als Versicherungsbeiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG an der dafür vorgesehenen Stelle des Formulars für die Einkommensteuer eingetragen, sondern als Beiträge zur „Rentenversicherung mit kapitalwahlrecht und Kapitallebensversicherung mit mindestens 12 Jahren Laufzeit und Laufzeitbeginn sowie erste Beitragszahlung vor dem 01.01.2005“. Von daher wurden die Beitragszahlungen vom beklagten Finanzamt (FA) als nur beschränkt abziehbare Vorsorgeaufwendungen behandelt, weshalb sich die Beitragszahlungen steuerlich nicht auswirkten. Die aufgrund der so ausgefüllten und verbeschiedenen Steuererklärungen ergangenen Steuerbescheide wurden bestandskräftig.  Im Juni 2016 beantragte der Kläger eine Änderung der Steuerfestsetzung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen unzutreffender Erfassung der Beiträge. Dies lehnte das FA ab. Nach dem erfolglosen Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage und vertrat die Auffassung, dass eine die Berichtigung nach § 128 AO ermöglichende offenbare Unrichtigkeit vorläge.

 

§ 129 AO lautet:

 

Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.

 

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Die daraufhin vom Kläger erhobene Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

 

Nach dem Wortlaut der Norm, auf den der BFH verwies, kann das FA Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offensichtliche Unrichtigkeiten berichtigen.

 

Vorliegend müsste es sich um eine „offenbare Unrichtigkeit“ handeln. Dies, so der BFH, seien mechanische Versehen wie Eingabe- oder Übertragungsfehler. Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts würde sich nicht als offenbare Unrichtigkeit iSv. § 129 AO darstellen. Auch sei § 129 AO dann nicht anwendbar, wenn die ernsthafte Möglichkeit bestünde, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet sei oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruhe. Der offenbare Fehler, der die Berichtigungsmöglichkeit nach § 128 AO ermögliche, müsse in der Sphäre des den Verwaltungsakt (Steuerbescheid) erlassenden FA entstanden sein. Da sich die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst ergeben müsse, sei § 129 AO auch anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernehme.

 

Die Beurteilung richte sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage. Es handele sich um eine Tatfrage.

 

Danach sei die Auffassung des FG nicht zu beanstanden, dass die fehlerhafte Eintragung durch den Kläger nicht aufgrund eines mechanischen Versehens, sondern bewusst aufgrund eines Tatsachen- und Rechtsirrtums vorgenommen worden sei. Ohne dass hier dem Sachbearbeiter des FA kein mechanischer Fehler unterlaufen sei, der lediglich die Angabe des Klägers übernahm, käme eine Berichtigung nach § 129 AO nicht in Betracht.

 

 

Der Umstand, dass die fehlerhafte Angabe auch in den Folgejahren erfolgte, ändere für diese weiteren bescheide nicht die Grundlage des § 129 AO. Ursächlich bliebe stets die ohne erneute Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen Überbahne des irrigen Prüfergebnisses des Erstjahres mit den jeweils aktuellen Beiträgen zum Versorgungswerk.


Haftung des Geschäftsführers für nach Insolvenzreife anfallende Vergnügungssteuer

OVG Münster, Beschluss vom 15.11.2019 - 14 B 1443/19 -

Die Antragsgegnerin erließ einen Haftungsbescheid gegen den Antragsteller wegen Steuerschulden aus Vergnügungssteuer (betrieb von Gelspielgeräten) der von dem Antragsteller als Geschäftsführer ehedem vertretenen GmbH. Vom Antragsteller wurde Widerspruch eingelegt und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Er machte geltend, er habe bereits einen Großteil der Steuerschulden der Gesellschaft aus privaten Mitteln gezahlt und der Antragsgegnerin sei die wirtschaftliche Situation der GmbH bekannt gewesen. Sein Antrag wurde vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Seine Beschwerde zum OVG hatte keinen Erfolg.

 

Das OVG verweist darauf, dem Antragsteller treffe eine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Erteilung erforderlicher Auskünfte, §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AO. Dieser sei er nicht genügend nachgekommen, wobei er sich nicht darauf berufen könne, die Unterlagen würden sich 8nun) beim Insolvenzverwalter befinden, da er jedenfalls in Grundzügen über fällige Forderungen und  liquide Mittel im Haftungszeitraum informiert sein müsse. Letztlich aber würde der Antragsteller mit seinem Vortrag sogar die Haftung wegen grober Verletzung der ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten nach §§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und d KAG iVm. §§ 69, 34 Abs. 1 AO bekräftigen, da er selbst in einem Schreiben an die Antragsgegnerin in 2018 ausführte, die GmbH sei schon 2013 nicht mehr in der Lage gewesen aus liquiden Mitteln Schulden zu zahlen (wobei er auf eine eigene Forderung der Gesellschaft aus 2012 in Höhe von € 58.000,00 verwies, die bis 2015 auf € 150.000,00 angewachsen sei), weshalb im Hinblick auf die hier streitbefangenen Steuerschulden für den Zeitraum ab April 2014 weiter anfallenden und ab Mai 2014 fälligen und unbeglichenen Steuerschulden  davon auszugehen sei, dass Zahlungsunfähigkeit vorlag. Es sei davon auszugehen, dass eine zur Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO allenfalls durch Gesellschafterdarlehen habe vermieden werden können, wobei spätestens ab Mai 2015 Zahlungsunfähigkeit hinzugekommen sei. Damit sei der Antragsteller weiterhin wirtschaftlich tätig geworden, obwohl für ihn erkennbar gewesen sei, dass er weitere Steuerschulden anhäufen würde.

 

Soweit steuerliche Literatur und die Entscheidung des BFH vom 28.11.2002 – VII R 41/01 – (ergangen zur Umsatzsteuer) eine Haftung nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO unbeschadet gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Regelungen, die eine steuerliche Haftung nicht begründen könnten, wegen des Weiterbetreibens von Geschäften negiert, obwohl diese eine Steuer auslösen könnten, könne dem nach den in Nordrhein-Westfalen entsprechend anwendbaren Haftungsvorschriften der AO für die Geldspielgerätesteuer nicht gelten. Vielmehr sei danach der Vertreter der juristischen Person (Geschäftsführer der GmbH) verpflichtet, Vorsorge für die Zahlung der erkennbar entstehenden Steuerschuld zu treffen. Dies schließe insbesondere die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrages (§§ 15a Abs. S. 1, 18 InsO) ein.

 

 

Im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter des Haftungsanspruchs würden nur die Steuern umfasst, die durch die Pflichtverletzung ausgefallen seien. Diese Pflichtverletzung müsse ursächlich sein. Bei einer Pflichtverletzung in Form der fehlenden Unterlassung weiterer steuerbegründender Geschäfte könne zwar zweifelhaft sein, , ob der Weiterbetrieb der Geschäfte mit den dann anfallenden Steuern wirtschaftlich einen Steuerschaden darstellen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.1994 - II ZR 292/91 -). Gegen den Weiterbetrieb von Geldspielgeräten  würde auch nach Insolvenzreife nichts sprechen, wenn der ein wirtschaftlich sinnvoller Weiterbetrieb erfolge und damit die Masse erhöht würde, wobei, wenn anders die Mittelvorsorgeverpflichtung für diese Steuern nicht gesichert werden könne, dies allerdings unter Insolvenzbedingungen erfolgen müsse, da in diesem Fall die Vergnügungssteuerschulden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1Nr. 1 2. Alt. InsO und nach § 55 InsO und vorab zu  befriedigen wären. Diese Mittelvorsorge sei vom Antragsteller unterlassen worden.


Auslegung des Umfangs eines Einspruchs bei verbundenen Steuerbescheiden

BFH, Urteil vom 29.10.2019 - IX R 4/19 -

Im Ausgangsfall legte der Kläger gegen den „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Soli vom 22.03.2018“ (ein sogenannter verbundener Bescheid, da er hier nach der Bescheidüberschrift die Bescheide zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag umfasste, darüber hinaus, in der in der Bescheidüberschrift nicht benannte Zinsen zur Einkommensteuer) mit Schreiben vom 09.04.2018 Einspruch ein. Nach einer von  ihm erbetenen Erörterung mit dem Finanzamt (FA) äußerte der Kläger Zweifel an einem zusätzlichen (vom FA berücksichtigten) veräußerungsgewinn in 2015 (statt 2016), bat erneut um einen Erörterungstermin und erhob im Rahmen desselben mit Schreiben vom 23.07.2018 erstmals Einwendungen gegen die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Verzinsung. In der Einspruchsentscheidung setzte sich das FA mit der Zinsfestsetzung nicht auseinander und lehnte mit besonderen Bescheid vom gleichen Tag eine Änderung der Zinsfestsetzung wegen Bestandskraft des Bescheides ab, da sich der Einspruch nicht gegen die Zinsen gerichtet habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage. Mit Zwischenurteil stellte das Finanzgericht fest, dass der Kläger rechtzeitig gegen die Zinsfestsetzung im Bescheid vom 22.03.2018 Einspruch erhoben habe. Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil auf und verwies den Rechtstreit an das Finanzgericht zurück.

 

Der BFH wies darauf hin, dass auf der Grundlage des § 357 Abs. 3 S. 1 AO die genaue Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht erforderlich sei, allerdings die Zielrichtung des Begehrens angegeben werden müsse, aus der sich der angefochtene Verwaltungsakt ergeben müsse  oder Zweifel/Unklarheiten beseitigt werden müssten. Fehle es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung, sei eine Auslegung erforderlich. Diese Auslegung eines Rechtsbehelfs richte sich außerprozessual als auch prozessual nach § 133 BGB. Es sei der wirkliche Wille zu erforschen, weshalb auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden dürften. Allerdings dürfe dies nicht dazu führen, dass die Auslegung zu einem Ergebnis führe, für welches es in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte gäbe. Damit ergäben sich im Wesentlichen folgende Fallgruppen:

  1. Würden miteinander verbundene Bescheide unter Wiedergabe der amtlichen Bescheidbezeichnung (wie hier: „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag“) angefochten, ohne dass (zunächst) konkrete Einwendungen erhoben würden und erfolgt späterhin (ggf. nach Ablauf der Einspruchsfrist) eine Begründung gegen einen bestimmten Bescheid, beziehe sich der Rechtsbehelf jedenfalls auch gegen diesen Bescheid. So hatte das FG Düsseldorf mit Urteil vom 26.05.2008 - 18 K 2172/07 AO - (zitiert vom BFH) den Einspruch gegen einen wie oben bezeichneten Bescheid auch als Einspruch gegen den im Bescheid festgesetzten Verspätungszuschlag angesehen, wobei allerdings das FG Düsseldorf die Auffassung vertrat, dass die korrekte Bezeichnung des Bescheides dies bereits umfasse und sich vorliegend zusätzlich (worauf der BFH einzig abstellt) aus der darauf bezogenen Begründung desselben ergäbe.
  2. Enthalte das (unspezifisch) auf verbundene Bescheide bezogene Einspruchsschreiben eine Begründung, sei der Gegenstand des Einspruchs einengend auszulegen. Würden nach Ablauf der Einspruchsfrist auch Einwendungen gegen einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt erhoben, die in der ursprünglichen Begründung nicht benannt worden seien, so würde dem die Bestandkraft des Bescheides entgegenstehen (BFHE 222, 196; BFHE 243, 304).
  3. Richte sich der Einspruch ausdrücklich zwar nur gegen einzelne miteinander verbundene Verwaltungsakte und würde innerhalb der Einspruchsfrist der Einspruch auf einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt ausgedehnt, stünde der weiteren Anfechtung keine Bestandkraft entgegen. Dies ist verständlich, da der nur eingeschränkte zunächst erhobene Einspruch nicht als Verzicht auf ein Rechtsmittel im Übrigen gedeutet werden kann; erfolgt allerdings der weitere Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist, stünde ihm auch die Bestandskraft entgegen.  

Die Auslegung des Einspruchs obliege, so der BFH, dem Finanzgericht. Der BFH als Revisionsgericht könne nur prüfen, ob das Finanzgericht die anerkannten Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen habe, ferner, ob der Einspruch überhaupt auslegungsbedürftig sei. An der Auslegungsbedürftigkeit würde es bei einer nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Erklärung fehlen.

 

Vorliegend sei zwar die Bescheidüberschrift gewählt worden, doch sei diese unvollständig gewesen, insoweit die mit festgesetzten Zinsen zur Einkommensteuer nicht erwähnt worden seien. Von daher habe es hier einer Auslegung bedurft.

 

 

Da das Finanzgericht diese Grundsätze nicht gewahrt habe, sei die Sache zurückzuverweisen und das Finanzgericht müsse sich mit dem Verhalten des Klägers nach Einlegung des Einspruchs und insbesondere auch seinen an das FA gerichteten Schreiben auseinandersetzen. 


Bindungswirkung der vom unzuständigen Finanzamt erteilten verbindlichen Auskunft

FG Münster, Urteil vom 17.06.2019 - 4 K 3539/16 F -

Die Klägerin war Kommanditistin der Beigeladenen (einer GmbH & Co. KG). Nachdem die Beigeladene hatte nach Veräußerung eines Grundstücks eine Rücklage nach § 6b EStG gebildet. Da die Beigeladene über kein Ersatzwirtschaftsgut verfügte, plante die Klägerin im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft den Bau von Tiefgaragenplätzen und wollte zum Zwecke der Übertragung der Rücklage die Fristverlängerung auf sechs Jahre gem. § 6b Abs. 3 S. 3 EStG in Anspruch nehmen. Sie stellte deshalb im Juni 2008 bei dem für sie betreffend der einheitlichen und gesonderten Feststellung zuständige Finanzamt (FA) S. einen Antrag auf verbindliche Auskunft unter Darlegung der Umstände. Das FA S. erteilte unter Bezugnahme auf die Darstellung der Klägerin die gebührenpflichtige verbindliche Auskunft, dass die Rücklage, soweit sie auf die Klägerin entfällt, in deren Gesamthandsvermögen übertragen werden könne. Auch die vorgesehene buchhalterische Abwicklung entspräche den Richtlinien. Sofern die „formalen Voraussetzungen des § 6b Abs. 4 EStG eingehalten werden, werde die Übertragung anerkannt“. Die Beigeladene löste die Rücklage auf und buchte den auf die Klägerin entfallenden Betrag ertragsneutral unter Zuschreibung zum Gesellschafterdarlehen aus und führte die Rücklage in ihren Bilanzen fort.

 

Im Rahmen einer bei der Beigeladenen durchgeführten steuerlichen Außenprüfung wurde die steuerneutrale Übertragung der anteiligen Rücklage nicht anerkannt. Die Auskunft des örtlich unzuständigen FA S. entfalte keine Bindungswirkung, da die Umstellung des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen nicht mitgeteilt worden sei und das zuständige FA, der Beklagte des Verfahrens, nicht beteiligt worden sei. Der Auflösungsbetrag sei daher steuerpflichtiger Gewinn der Klägerin. Der Beklagte daher seinen unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen den Gewinn der Beigeladenen hinsichtlich des Gewinnanteils der Klägerin, indem es die Rücklage nach § 6b EStG auch für die Klägerin zinswirksam auflöste. Der Einspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage.

 

Das Finanzgericht (FG) stellte zunächst die Zulässigkeit der Klage fest und machte sodann Ausführungen zu einer Rücklage nach § 6b EStG. Im Hinblick auf den Zeitraum sei zwar die Rücklage, wenn sie am Schluss des vierten bzw. sechsten Jahres nach ihrer Bildung noch vorhanden sei, grundsätzlich gewinnerhöhend aufzulösen. Hier hätten die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre (bei der Klägerin) vorgelegen. Einzig kontrovers sei, ob die Rücklage bei der Beigeladenen gewinnneutral hätte aufgelöst werden und auf die Klägerin als Mitunternehmerin übertragen werden dürfen, bevor die Herstellung des Reinvestitionsgutes abgeschlossen war  und ohne auf Seiten der Beigeladenen eine Ergänzungsbilanz für die Klägerin zu bilden. Dies ergäbe sich, unbeschadet der materiell-rechtlichen Richtigkeit (BFH, Urteil vom 22.11.2018 - VI R 50/16 -) aus der verbindlichen Auskunft des FA S.

 

§ 89 Abs. 2 S. 1 AO sehe vor, dass Finanzämter auf Antrag verbindliche Auskünfte über eine steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn in Ansehung der steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse bestünde. Diese Auskünfte seien für die Besteuerung des Antragstellers verbindliche (§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV) Verwaltungsakte, die nach § 133 BGB zu beurteilen seien. Sie würden mit Bekanntgabe wirksam, §§ 124 Abs. 1 S. 1 AO iVm. 122 AO) und eine Rechtswidrigkeit sei grundsätzlich ohne Bedeutung. Nur eine Nichtigkeit käme in Betracht (§§ 124 Abs. 3, 125 Abs. 1 AO), der einen besonders schwerwiegenden Fehler voraussetze und offenkundig sein müsse (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -). Eine verbindliche Auskunft durch das FA S. in diesem Sinne sei zu bejahen.

 

Die Nichtangabe des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen sei ohne Bedeutung, da lediglich die Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre entscheidend gewesen sei, bei der hier datumsmäßig die Umstellung des Wirtschaftsjahres ohne Belang gewesen sei.

 

§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV entfalte auch Bindungswirkung für die Klägerin in personeller Hinsicht. Es könne dahinstehen ob in Fällen eines mehrstufigen Feststellungsverfahrens der Antrag von der Beigeladenen als auch der Klägerin zu stellen gewesen sei (§§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 3 StAuskV, § 178 Abs. 2 S. 2 AO), wobei das FG von einer alleinigen Antragsbefugnis der Klägerin in Ansehung einer mitunternehmerbezogenen Sichtweise des § 6b EStG ausgeht, da die formelle Rechtmäßigkeit nicht die Bindungswirkung bzw. Wirksamkeit ausschließen würde (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -).

 

Selbst wenn (was nicht unzweifelhaft sei) das FA S. örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte, würde dies die Bindungswirkung nicht betreffen. Die Bindungswirkung würde nur im Falle der Nichtigkeit entfallen. Soweit in § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV und dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 89 ausdrücklich ausgeführt wird, dass Auskünfte unzuständiger Behörden keine Bindungswirkung entfalten würden, würde es schon in Ansehung von Art 80 Abs. 1 GG an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage ermangeln. Es handele sich um einen solch fundamentalen Eingriff in die gesetzliche Regelung betreffend der Wirksamkeit von Verwaltungsakten, dass diese entweder im Gesetz selbst (§ 89 Abs. 2 AO) oder deutlich in die Ermächtigungsgrundlage hätte aufgenommen werden müssen. Auch würde die Bindungswirkung nicht deshalb entfallen, da das FA S. und nicht die Beklagte die verbindliche Auskunft erteilt habe; auch bei Steuerbescheiden, die von einer unzuständigen Behörde erlassen worden seien, könne eine Durchbrechung ihrer Bestandskraft nur bei Vorliegen entsprechender Rechtsgrundlagen erfolgen. Maßgebend sei alleine, dass sich die Verwaltungsakte auf sämtliche Steuerfestsetzungen beziehen würden. Dem entspräche auch § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV, da dort von der Bindung „für die Besteuerung des Antragstellers gesprochen würde.

 

 

Auch sei die verbindliche Auskunft nicht wieder aufgehoben worden. Auch eine konkludente Aufhebung sei nicht erfolgt, da das Verhalten der Betriebsprüfung dahin gegangen sei, dass die Auskunft von vornherein keine Wirksamkeit entfalte.